FÖRDERUNG DES INKLUSIVEN LERNENS DURCH EINBEZIEHUNG JUNGER MENSCHEN UND MEDIATOR*INNEN IN EINEM KREATIVEN PROZESS

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Barrierefreiheit im Kontext der Buchbranche (2/2)

Der Zusammenhang zwischen Barrierefreiheit und Publikation – und insbesondere der digitalen Publikation – ist vielleicht nicht jedem klar, und die wenigen auf dem Markt erhältlichen barrierefreien (E-)Bücher – seien es Papierbücher oder E-Books – bieten zu wenig Anhaltspunkte, um unser Verständnis dieses Zusammenhangs zu vertiefen. Ziel dieses Artikels ist es daher, den Teil des Verlagswesens zu untersuchen, der sich dafür einsetzt, zugängliche Inhalte für verschiedene Lesergruppen anzubieten, und zwar anhand des französischen Kontextes und einiger Beispiele aus anderen europäischen Ländern.

Wenn man beginnt, über Barrierefreiheit im Kontext der Buchbranche nachzudenken, stellen sich vor allem zwei Fragen: Was ist ein zugängliches (e)Buch? und wie (un)zugänglich ist die Branche? Wir werden versuchen, diese Fragen in zwei Artikeln zu beantworten: Der erste Artikel wird die Definition der Schlüsselbegriffe (Buch, ebook und barrierefreies (e)book) erläutern und diese Begriffe anhand verschiedener Beispiele illustrieren. Der zweite Artikel bietet einen analytischeren Überblick, indem er das Angebot und die Verbreitung barrierefreier (E-)Bücher in der gesamten Verlagsbranche analysiert.

Hinweis: Dieser Artikel ist der Veranstaltung über barrierefreies Publizieren entnommen, die im Rahmen des Simpl4all-Projekts im September 2022 in Maribor, Slowenien, stattfand.

Fahren wir nun mit der Beantwortung der zweiten Frage fort: Wie (un)zugänglich ist die (E-)Buchbranche? Wir könnten die (e)-Buch-Branche als zugänglich betrachten, wenn der Anteil der zugänglichen (e)-Bücher die Bedürfnisse der verschiedenen Leser:innen befriedigen kann: Dies ist der Fall, wenn ein großes Angebot an zugänglichen (e)-Büchern auf dem Markt vorhanden ist, um die Nachfrage der Leser:innen zu befriedigen, und wenn dieses Angebot preislich angemessen ist und effizient verteilt wird, um sie tatsächlich zu erreichen. Betrachten wir also sowohl die Nachfrage als auch das Angebot an barrierefreien (elektronischen) Büchern, bevor wir die Marktfähigkeit des Angebots und seinen Vertriebsprozess bewerten.

Es gibt keine eindeutigen Daten zur Bewertung der Nachfrage nach (elektronischen) Büchern bei Leser:innen mit unterschiedlichen Behinderungen: Hörbeeinträchtigung, Sehbeeinträchtigung, psychische Störung und kognitive Störung. Eine 2011 in Italien durchgeführte Umfrage liefert jedoch einige nützliche Anhaltspunkte zu den Lesegewohnheiten von Leser:innen mit Sehbehinderungen. Dabei wurde festgestellt, dass 31 % der Befragten täglich lesen, 28 % mehrmals pro Woche oder einmal am Tag, und dass die Befragten in den letzten 12 Monaten vor der Befragung im Durchschnitt 9 Bücher gelesen hatten. Von den gelesenen (elektronischen) Büchern waren 25 % Hörbücher, 30 % ebooks mit einem nicht optimalen digitalen Leseerlebnis (ebooks in den Formaten pdf, doc und txt), 10 % waren Bücher in Brailleschrift und 6,5 % waren Bücher in Großdruck. Dies spiegelt zwar nur die Nachfrage nach barrierefreien Büchern in einem engen Kontext wider (Leser:innen mit Sehbehinderungen in Italien), aber wir können bereits feststellen, dass es eine erhebliche Nachfrage gibt und dass diese Nachfrage nicht ausreichend befriedigt wird: 30 % der Bücher bieten ein nicht optimales Leseerlebnis.

Außerdem waren von den 50 beliebtesten Büchern im Jahr 2013 (gemessen an den Verkaufszahlen) 35 als Hörbücher* erhältlich, aber nur 25 in Großdruck und noch weniger (10) in Brailleschrift. In gewisser Weise sind diese Daten ermutigend, da sie ein günstigeres Verhältnis als zuvor darstellen. Wir werden jedoch argumentieren, dass der Anteil des Angebots bestimmter Buchtypen im Idealfall nicht unbedingt den Anteil ihrer Leserschaft am Gesamtmarkt widerspiegeln sollte, insbesondere wenn „Buchtypen“ durch ihre technischen Merkmale und nicht durch ihren Inhalt definiert werden. Idealerweise sollten alle Leser Zugang zu allen Veröffentlichungen haben, unabhängig von ihren Unterschieden. Darüber hinaus sind selbst (E-)Bücher, die von ihren Merkmalen her zugänglich sind, möglicherweise nicht in einem wirtschaftlichen Sinne zugänglich. So ist der Preis für barrierefreie (e)Bücher in der Regel hoch, insbesondere für Leser:innen mit Sehbehinderungen: Von den 50 beliebtesten Büchern, die 2013 veröffentlicht wurden, kosteten die Bücher in Blindenschrift und Großdruck durchschnittlich 109,6 € bzw. 26,4 €, also mindestens doppelt so viel wie die Originalveröffentlichung, die im Durchschnitt 13,7 € kostete.

*Wie in dem anderen Artikel erwähnt, garantiert die bloße Verfügbarkeit eines Buches als Hörbuch nicht die Zugänglichkeit für Leser mit einer Sehbehinderung: Das Hörbuch muss mit einer Leseplattform oder einer Software mit einem angepassten Navigationssystem gekoppelt sein.

Damit kommen wir von der Bewertung der Zugänglichkeit von (E-)Büchern auf der Seite der Veröffentlichung zur Seite der Verteilung. Denn selbst wenn die (e)-Buch-Industrie genügend zugängliche Inhalte anbietet, könnten diese nicht zugänglich sein, wenn diese (e)-Bücher nicht ordnungsgemäß an ihre Leser:innen verteilt werden. Außerdem ist der Vertriebsprozess im Vergleich zu dem der herkömmlichen (E-)Buchbranche recht ineffizient. Herkömmliche (E-)Bücher werden in der Regel sowohl direkt über die Verkaufsstellen der Verlage als auch indirekt über Bibliotheken, in denen sie an die Leser:innen ausgeliehen werden, oder über Buchhandlungen und andere Einzelhändler, in denen sie an die Leser:innen verkauft werden, an die Leser:innen verteilt.

Die Messung des Verkaufs barrierefreier (elektronischer) Bücher ist eine schwierige Aufgabe, da sich viele dieser Bücher der wirtschaftlichen Realität entziehen. Wie wir bereits gesehen haben, sind insbesondere Bücher in Brailleschrift mit besonders hohen Kosten verbunden und werden daher eher ausgeliehen als gekauft, ebenso wie verschiedene barrierefreie Ressourcen und Materialien in der Schule typischerweise an Schüler:innen mit Störungen oder Beeinträchtigungen im Rahmen ihres Projekts der personalisierten Schulbildung (PPS) ausgeliehen als verkauft werden. Darüber hinaus ist ein größerer Anteil der Verlage in der barrierefreien (E-)Buchbranche nicht gewinnorientiert als in der Mainstream-Branche, was bedeutet, dass sie ihre Inhalte auf nicht-kommerzielle Weise verbreiten, sei es subventioniert oder manchmal sogar schlichtweg kostenlos. (S. 47) Nicht zuletzt werden viele barrierefreie (E-)Bücher auch außerhalb eines kommerziellen Rahmens produziert: Dies gilt für die Mainstream-Bücher, die von kommerziellen Herausgebern auf Anfrage der Person mit einer Behinderung angepasst und auf der französischen nationalen Plattform PLATON auf individueller Basis verbreitet werden.

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