FÖRDERUNG DES INKLUSIVEN LERNENS DURCH EINBEZIEHUNG JUNGER MENSCHEN UND MEDIATOR*INNEN IN EINEM KREATIVEN PROZESS

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Barrierefreiheit im Kontext der Buchbranche (1/2)

Der Zusammenhang zwischen Barrierefreiheit und Publikation – und insbesondere der digitalen Publikation – ist vielleicht nicht jedem klar, und die wenigen auf dem Markt erhältlichen barrierefreien (E-)Bücher – seien es Papierbücher oder E-Books – bieten zu wenig Anhaltspunkte, um unser Verständnis dieses Zusammenhangs zu vertiefen. Ziel dieses Artikels ist es daher, den Teil des Verlagswesens zu untersuchen, der sich dafür einsetzt, zugängliche Inhalte für verschiedene Lesergruppen anzubieten, und zwar anhand des französischen Kontextes und einiger Beispiele aus anderen europäischen Ländern.

Wenn man beginnt, über Barrierefreiheit im Kontext der Buchbranche nachzudenken, stellen sich vor allem zwei Fragen: Was ist ein zugängliches (e)Buch? und wie (un)zugänglich ist die Branche? Wir werden versuchen, diese Fragen in zwei Artikeln zu beantworten: Der erste Artikel wird die Definition der Schlüsselbegriffe (Buch, ebook und barrierefreies (e)book) erläutern und diese Begriffe anhand verschiedener Beispiele illustrieren. Der zweite Artikel bietet einen analytischeren Überblick, indem er das Angebot und die Verbreitung barrierefreier (E-)Bücher in der gesamten Verlagsbranche analysiert.

Hinweis: Dieser Artikel ist der Veranstaltung über barrierefreies Publizieren entnommen, die im Rahmen des Simpl4all-Projekts im September 2022 in Maribor, Slowenien, stattfand.

Beginnen wir mit der Beantwortung der ersten Frage: Was ist ein zugängliches (e)Buch? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst die Begriffe „Buch“, „ebook“ und „Zugänglichkeit“ für sich definieren, bevor wir sie mit der Definition des barrierefreien (e)Books zusammenführen.

Ein Buch könnte definiert werden als eine gedruckte und gebundene Reihe von Blättern mit schriftlichen, illustrierten und/oder anderen Inhalten, die von einem Verlag oder einer gleichwertigen Einrichtung herausgegeben und direkt oder indirekt (über Bibliotheken, Buchhandlungen usw.) an eine bestimmte Leserschaft vertrieben werden. Diese Definition hat ihre Schwächen, soll aber hier als nützlicher Ausgangspunkt für unsere Diskussion über barrierefreies Publizieren dienen. Sie umfasst in ihrem Rahmen Bücher verschiedener Formate (Hardcover, Taschenbuch…), verschiedener Arten (Belletristik, Sachbücher) sowie verschiedener Genres (Kochbuch, Roman, Comics, Lyrik, Drama, Selbsthilfe…). Ausgeschlossen sind dagegen Werke wie Magister- oder Doktorarbeiten (da sie nicht für eine Leserschaft, sondern eher für ein enges wissenschaftliches Gremium bestimmt sind) oder Manuskripte verschiedener Art: Zeitschriften, Briefe, Skizzenbücher… (da sie keinen redaktionellen Prozess durchlaufen haben).*

*Anmerkung, dass diese jedoch irgendwann zu Büchern werden könnten, wenn sie zu diesem Zweck bearbeitet werden

Das E-Book wiederum kann definiert werden als ein Buch (wie oben definiert), das in digitaler Form und nicht in Papierform vorliegt, d. h. als ein Buch, das für das Lesen auf einem Bildschirm (sei es ein Smartphone, ein Laptop, ein E-Reader oder ein Tablet) gedacht ist.* Man könnte an gedruckte Bücher im PDF-Format denken, an schwarz-weiß, wiederverwendbare Texte, die auf Kindle und anderen digitalen Papiergeräten oder E-Readern gelesen werden können, oder sogar an rollbare Webtoons, die kostenlos auf öffentlichen Websites angezeigt werden. Aber nicht alle der oben genannten Bücher sind notwendigerweise als E-Books zu betrachten. Es könnte sinnvoll sein, die Definition auf Bücher einzugrenzen, die [1] von vornherein für ein digitales Leseerlebnis konzipiert wurden oder [2] die von einer gedruckten Buchversion so angepasst wurden, dass sie ein optimales Leseerlebnis auf dem Bildschirm bieten, und nicht auf [3] Bücher, die zufällig digital lesbar sind (und auch etwas umständlich), wie z. B. eingescannte Seiten aus einem veröffentlichten Buch. In der Praxis führt dieser Faktor auch dazu, dass die Definition von E-Books auf reine epub3-Dateien eingeengt wird. Diese Formate, die vom EDR-Labor speziell für das Hosting von E-Books entwickelt wurden, entwickeln sich schnell zu einem Standard in der digitalen Verlagsbranche und bieten den Vorteil, dass sie mit verschiedenen Geräten und Leseprogrammen kompatibel sind.

*Beachten Sie, dass diese Definition theoretisch Hörbücher ausschließt, die nicht am Bildschirm gelesen werden können.

Druckveröffentlichung / nicht nativ digitale Bücher / digitale Veröffentlichung (breite Definition) / digitale Veröffentlichung (enge Definition) / optimales digitales Leseerlebnis (=epub3) / [1] nativ digitale ebooks / [2] angepasste ebooks / [3] nicht optimales digitales Leseerlebnis

Es gibt zwei Arten von Epub3-Ebooks: reflowable oder fixed layout ebooks. Das reflowable E-Book besteht hauptsächlich aus Text, dessen Architektur im Code definiert ist (Titel, Absätze, Kapitel usw. sind als solche definiert), so dass das Leseerlebnis an die Vorlieben des/der Lesers:in angepasst werden kann: die Hintergrundfarbe kann geändert, die Schriftgröße vergrößert oder verkleinert werden usw., so dass der Text innerhalb und außerhalb des Bildschirms angemessen fließt. Das E-Book mit festem Layout hingegen besteht sowohl aus Text als auch aus multimedialen Inhalten (Bilder, Ton, Video, Animationen, Interaktivität), d. h. aus Medien, die sich an einer festen Position auf der Seite befinden (so wie Text und Illustrationen normalerweise auf einer gedruckten Seite fixiert sind), um ein bestimmtes Layout und Design zu erreichen.

Schließlich kann ein barrierefreies Buch als ein Buch oder E-Book definiert werden, dessen Zielgruppe eine oder mehrere kognitive Dysfunktionen und/oder Behinderungen (einschließlich Hör- und Sehbeeinträchtigungen) aufweist und dessen Form und Inhalt den Bedürfnissen dieser Leserschaft durch spezielle barrierefreie Merkmale (spezielle Schriftarten, Großdruck usw.) entspricht. So wie bei E-Books zwischen Inhalten unterschieden wird, die von vornherein für ein digitales Format konzipiert wurden, und Inhalten, die bereits in Papierform gedruckt wurden, um später digital angepasst zu werden, können auch barrierefreie (E-)Bücher weiter unterteilt werden in [1] (E-)Bücher, die von vornherein barrierefrei gestaltet sind, und [2] solche, die nicht barrierefrei sind und einen Anpassungsprozess seitens der Mainstream-Verlagsbranche durchlaufen haben. Einige Leute würden sogar [3] (e)Bücher aus dieser Branche, die zufällig barrierefreie Merkmale aufweisen, als potenziell zur barrierefreien Verlagsbranche gehörend betrachten, wie folgt:

Mainstream and accessible publishing
Mainstream-Publishing / Barrierefreies Publizieren (weit gefasste Definition) / Barrierefreies Publizieren (eng gefasste Definition) / Nicht von vornherein zugängliche (elektronische) Bücher / „zufällig“ zugängliche Funktionen / „gezielt“ zugängliche Funktionen / [1] von vornherein zugängliche (elektronische) Bücher / [2] angepasste (elektronische) Bücher / [3] von vornherein zugängliche (elektronische) Bücher

Die barrierefreien Merkmale sind von Buch zu Buch unterschiedlich und hängen von der Zielgruppe und ihren Bedürfnissen ab. Es gibt keine eindeutige Typologie für barrierefreie (E-)Bücher, aber Beispiele sind: Bücher in Brailleschrift, (E-)Bücher in Großdruck, (E-)Bücher in einfacher Sprache, Hörbücher*, E-Books mit Funktionen wie Voiceover, Audiobeschreibung, angepasste Schriftart, angepasstes Layout, Text in Gebärdensprache usw.. Lassen Sie uns nun einige dieser verschiedenen Möglichkeiten anhand von zwei ausgewählten Beispielen illustrieren. Für jedes dieser Beispiele werden wir eine kurze Definition des (E-)Buches geben, bevor wir seine Zugänglichkeitsmerkmale untersuchen und darüber nachdenken, wie (un-) passend es für die enge Definition des „barrierefreien (E-)Buches“ ist – nämlich die eines gedruckten oder epub3-Ebooks, das gezielt zugängliche Merkmale enthält.

*vorausgesetzt, das Lesegerät und die Leseplattform oder Software ermöglichen eine Navigation, die für Menschen mit Seheinschränkungen und blinde Leser geeignet ist

Ma rentrée colère ist eine Geschichte über Loïc, einen jungen Schüler mit Down-Syndrom, der den Leser:innen erzählt, wie sein Alltag aussieht, wenn er in die Schule geht. Dieses Buch ist in gedruckter und in digitaler Form erhältlich. Das digitale Buch kann im epub3-Format gekauft und heruntergeladen oder auf der Webplattform des Verlags gestreamt werden. Das E-Book hat ein festes Layout und ist mit Illustrationen, Animationen und einem Sprecher ausgestattet, der von einem Kind mit Trisomie 21 gesprochen wird, während der Text in einer für Menschen mit Leseschwäche geeigneten Schriftart dargestellt ist. Alles in allem entspricht es perfekt der engen Definition eines barrierefreien (E-)Buches, da es sich um eine epub3-Datei handelt, die von vornherein so konzipiert wurde, dass sie barrierefreie Funktionen enthält.

La palette de couleurs ist Teil der Arthur et Zazou-Kollektion des Unternehmens inclood, das Papierbücher herstellt, die mit einer Anwendung verbunden sind, über die man den Text aller Veröffentlichungen in Gebärdensprache abrufen kann. Alle Geschichten in dieser Sammlung drehen sich um diese beiden Geschwister, von denen eines gehörlos und das andere hörend ist und die beide in Gebärdensprache kommunizieren können und dies auch gemeinsam tun. In der oben erwähnten Geschichte verbringen sie einen Nachmittag damit, Seite an Seite ein Bild für ihre Mutter zu malen. Abgesehen davon, dass die Geschichte in französischer Gebärdensprache vorliegt, enthält das Buch keine weiteren Zugänglichkeitsmerkmale. Im Gegensatz zu Ma rentrée colère, das im epub3-Format vorlag, entspricht dieses Buch weniger der engen Definition eines (E-)Buches, da es auf einem gedruckten Format in Verbindung mit einer App basiert, aber das ist so, um die Augmented-Reality-Funktion, die die Grundlage für die Zugänglichkeit bildet, nativ zu unterstützen.

Es ist erwähnenswert, dass in den beiden von uns angeführten Beispielen der Inhalt der Bücher selbst ein Thema der Behinderung behandelt. Dies ist zwar keine Voraussetzung für die Einstufung als barrierefreies (E-)Buch, lässt aber zwei interessante Trends in der barrierefreien (E-)Buchbranche erahnen: 1) die starke Vertretung von Themen im Zusammenhang mit Behinderungen (oder vielmehr die Unterrepräsentation solcher Themen in der Mainstream-Verlagsbranche), aber auch 2) die mangelnde Vielfalt der literarischen Inhalte, die in einem barrierefreien Format verfügbar sind. Dies veranlasst uns zu einer umfassenderen Betrachtung: Was sind die Merkmale und die Entwicklung der barrierefreien (elektronischen) Buchbranche? Dies wird das Thema des folgenden Artikels sein, der hier verfügbar ist.

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